Was bedeutet es für Sie, die Herzgesundheit ganzheitlich zu betrachten – und welche Rolle spielen dabei neben medizinischen Aspekten auch emotionale, soziale und mentale Faktoren?
SUSANNA NEFFE: Für mich heißt ganzheitliche Herzgesundheit, den Menschen in seiner ganzen Lebenswirklichkeit zu sehen – nicht nur das Organ. Körperliche Beschwerden sind oft eng mit seelischen Belastungen, sozialem Rückzug oder chronischem Stress verbunden. Deshalb reicht es nicht, Symptome zu behandeln. Es geht darum, zu verstehen, was Menschen gerade bewegt – und wie sie sich selbst wieder besser unterstützen können. Selbstfürsorge, Gesundheitskompetenz und die Fähigkeit, eigene Bedürfnisse ernst zu nehmen, sind zentrale Bestandteile. Denn wer sich selbst versteht, kann auch besser für sein Herz sorgen.
Inwiefern zeigen sich bei Frauen und Männern unterschiedliche Symptome, Risiken und Krankheitsverläufe bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen – und warum werden Frauenherzen oft übersehen?
SUSANNA NEFFE: Frauen erleben Herzerkrankungen häufig ganz anders als Männer – oft weniger eindeutig, eher diffus. Symptome wie ungewöhnliche Müdigkeit, Atemnot oder Rückenschmerzen werden leichter übersehen – von außen, aber auch von den Frauen selbst. Viele stellen ihre eigenen Bedürfnisse zurück oder trauen der eigenen Wahrnehmung nicht. Hinzu kommen medizinische Strukturen, die lange zu sehr auf das männliche Herz ausgerichtet waren. Es braucht mehr Bewusstsein für diese Unterschiede – und auch mehr Vertrauen darin, eigene Warnzeichen ernst zu nehmen und Hilfe einzufordern.
Welche Auswirkungen haben Dauerstress, Zeitdruck und unser schneller Lebensrhythmus auf die Herzgesundheit – und wie kann man dem im Alltag wirkungsvoll entgegenwirken?
SUSANNA NEFFE: Stress wirkt direkt aufs Herz – er erhöht den Blutdruck, bringt den Hormonhaushalt aus dem Gleichgewicht und kann Erkrankungen verschärfen. Viele merken, dass der Alltag zu viel wird, aber wissen nicht, wie sie rauskommen. Ich setze da gerne an und zeige, wie man mit kleinen Schritten gegensteuern kann: kurze Pausen, bewusste Atemübungen, Bewegung an der frischen Luft oder einfach mal ein Gespräch. Es geht nicht darum, das ganze Leben umzubauen – sondern wieder ins Spüren zu kommen und zu erkennen: Ich kann aktiv etwas für mein Herz tun.
Was sind aus Ihrer Sicht einfache, aber wirksame Möglichkeiten, das Herz bewusst zu stärken und präventiv gut für sich zu sorgen?
SUSANNA NEFFE: Bewegung, Ernährung, Schlaf – das sind die bekannten Säulen, und sie bleiben wichtig. Schon ein täglicher Spaziergang kann viel verändern. Auch eine mediterrane Ernährung, weniger Alkohol, kein Nikotin und erholsamer Schlaf haben einen großen Effekt. Aber genauso wichtig sind emotionale Faktoren: stabile Beziehungen, das Gefühl, gebraucht zu werden, oder eine sinnstiftende Aufgabe. Ich begleite Menschen dabei, all das Schritt für Schritt in ihren Alltag zu integrieren – auf ihre Weise, nicht nach „Schema F“. Es ist immer wieder schön zu sehen, wie kleine Veränderungen große Wirkung zeigen können.
Was macht die spezialisierte Arbeit einer Pflegeexpertin für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Herzgesundheit aus
SUSANNA NEFFE: Ich sehe den Menschen – nicht nur die Erkrankung. Herzgesundheit ist für mich immer auch Spiegel der Lebensumstände, der Emotionen und des sozialen Umfelds. Deshalb arbeite ich nicht rein symptomorientiert, sondern begleite langfristig: mit Beratung, Schulung, Beziehung. Es geht um Selbstfürsorge, darum, Menschen zu ermutigen, Verantwortung für sich zu übernehmen – und um das Vertrauen, mit der Erkrankung umgehen zu können. Diese Verbindung aus fachlichem Wissen, langjähriger Erfahrung in der Pflege von Herz-Kreislauf-Patient*innen, empathischer Begleitung und Alltagstauglichkeit charakterisiert meinen Ansatz.
Zu meinen pflegerischen Aufgaben gehören unter anderem:
- Kontrolle von Vitalwerten wie Blutdruck, Puls, Gewicht sowie Beobachtung möglicher Symptome wie Wassereinlagerungen oder Atemnot
- Aufklärung zum richtigen Umgang mit Medikamenten (Einnahme, Aufbewahrung, Wirkung und Nebenwirkungen)
- Unterstützung bei der Selbstbeobachtung: Was sind Warnzeichen? Wie kann ich mich selbst einschätzen und aktiv werden?
- Beratung zu Lebensstilthemen wie rauchfrei leben, gesunde Ernährung und Bewegung – mit motivierender Begleitung
- Hilfe in belastenden Situationen wie vor Operationen, bei Urlaubsplanung oder bei gesundheitlichen Veränderungen – auch im Austausch mit anderen Berufsgruppen
- Information und Organisation weiterführender Angebote, etwa Reha oder mobile Dienste
- Anleitung einfacher Bewegungsübungen, angepasst an die individuelle Belastbarkeit – ggf. in Zusammenarbeit mit Physiotherapeut:innen
Wie erleben Sie die Wirkung Ihrer Arbeit auf Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen – und welchen Unterschied kann eine ganzheitliche Pflegebegleitung dabei machen?
SUSANNA NEFFE: Ich erlebe oft, wie viel Sicherheit entsteht, wenn jemand sich gesehen fühlt – nicht nur körperlich, sondern mit allem, was da ist. Viele kommen mit Ängsten, Unsicherheiten oder dem Gefühl, den Boden verloren zu haben. In solchen Momenten geht es nicht nur um Zahlen und Befunde, sondern um Beziehung. Ich erkläre, begleite, ermutige – und oft entsteht daraus nicht nur körperliche Stabilität, sondern auch ein neues Selbstverständnis. Wer wieder Vertrauen in sich findet, ist auch eher bereit, gesundheitsfördernde Entscheidungen zu treffen.
Was treibt Sie in Ihrer Arbeit mit Herzpatient*innen an – und was ist Ihnen im zwischenmenschlichen Kontakt besonders wichtig?
SUSANNA NEFFE: Mich bewegt, dass ich wirklich etwas bewirken kann – auf vielen Ebenen. Es berührt mich, wenn Menschen nach einem Herzereignis wieder Vertrauen fassen, in sich und ins Leben. Und genau dafür braucht es Beziehung: ehrliches Interesse, echtes Zuhören, einen offenen Raum ohne Bewertung. Wenn sich jemand verstanden fühlt, entsteht oft eine Offenheit, die viel verändert. Diese Begegnungen sind für mich das Wertvollste an meinem Beruf.