Was verbinden Sie mit dem Begriff spirituelle Gesundheit? Inwiefern spielt dabei Ihre Beziehung zu sich selbst, zu anderen und zu Gott eine zentrale Rolle?
SR BARBARA LEHNER: Mit dem Begriff spirituelle Gesundheit tue ich mir persönlich ein bisschen schwer – vielleicht auch, weil man da leicht in Schubladen denkt. Im geistlichen Leben gibt es natürlich auch Phasen oder Entwicklungen, die aus dem Gleichgewicht geraten können und tatsächlich krank machen.
Ich würde es deshalb lieber so formulieren: Wie wirkt sich Spiritualität auf meine Gesundheit aus und auf mein Leben insgesamt?
In diesem Zusammenhang spielt ganz klar die Beziehung zu mir selbst eine wichtige Rolle. Dann die Beziehung zu anderen Menschen und schließlich die Beziehung zu Gott.
Wie haben Sie gelernt, auf sich selbst, Ihre Bedürfnisse und Ihre innere Stimme zu hören und welche Rolle spielt das in Ihrer spirituellen Praxis?<
SR. BARBARA LEHNER: Das ist ein Lernweg – ein Prozess, der sich über die Zeit entwickelt hat. Ich habe das vor allem durch die langjährige Praxis der kontemplativen Exerzitien gelernt. Das sind geistliche Übungen, die im völligen Schweigen stattfinden und von einer*m Begleiter*in unterstützt werden. Ein zentrales Thema dieser Exerzitien ist die Schulung der Wahrnehmung.
Welche Bedeutung hat die Stille in Ihrem Alltag und was geschieht für Sie in diesen Momenten der äußeren und inneren Ruhe?
SR. BARBARA LEHNER: Stille ist ein ganz wesentlicher Punkt, auch wenn ich sie, so ehrlich will ich sein, im Alltag oft zu wenig suche. Es gibt so viele Ablenkungen, die unsere Aufmerksamkeit binden, und auch ich merke, wie sehr mich das vom Wesentlichen ablenken kann. Aber genau deshalb ist die bewusst gewählte Stille so wichtig.
Wie sieht im christlichen Verständnis ein heilsamer Weg aus?
SR. BARBARA LEHNER: Es gibt unzählige Strömungen, die darauf abzielen, den Menschen immer besser, effizienter, perfekter zu machen.
In der christlichen Spiritualität geht es um etwas ganz anderes: nicht um Optimierung, sondern um Annahme. Um das Annehmen dessen, was ist, auch wenn es schwierig ist.
Was bedeutet für Sie persönlich Hingabe an Gott?
SR. BARBARA LEHNER: Hingabe setzt für mich etwas sehr Zentrales voraus: Glauben. Ich kann mich nur wirklich hingeben, wenn ich glaube, dass ich nicht alles selbst in der Hand habe, und dass ich mit meinem ganzen Menschsein angenommen bin.
Welche Haltungen sind aus Ihrer Sicht grundlegend für eine gesunde Spiritualität? Und was kann im Alltag helfen, diese Haltungen zu leben – besonders für Menschen, die vielleicht noch wenig spirituelle Praxis haben?
SR. BARBARA LEHNER: Drei Haltungen sind für mich zentral:
- Dankbarkeit
- Versöhnungsbereitschaft
- und Demut.
Dankbarkeit, weil letztlich alles, was wir im Leben empfangen, nicht selbstverständlich ist.
Versöhnungsbereitschaft, weil sie uns inneren Frieden ermöglicht – mit uns selbst, mit anderen, mit dem Leben.
Und Demut, weil wir nicht alles kontrollieren können. Das anzunehmen, kann befreiend und entlastend sein.
Wie kann man den Alltag spirituell gestalten?
SR. BARBARA LEHNER: Spirituelle Lehrer*innen empfehlen:
- Ausreichend Schlaf.
- Tägliche Bewegung an der frischen Luft.
- Bewusste Zeit mit Menschen verbringen – wirklich präsent sein.
- Eine feste Zeit für das Gebet oder die stille Hinwendung zu Gott.
- Und zuletzt: die Arbeit. Wenn die anderen Prioritäten stimmen, bleibt genug Energie dafür.
Das Aufsuchen von Kirchen, Kapellen, Meditationsräume begünstigt das Stillwerden, das Dasein vor Gott, ob ich ihn gerade spüre oder nicht. Solche Orte können innere Räume öffnen.
Ich möchte noch über das Maßhalten als weitere Tugend sprechen. Maßhalten ist eine wichtige Tugend, die weit über das Essen hinausgeht. Es betrifft viele Lebensbereiche: Medienkonsum, Beziehungen, Arbeit und Freizeit. Wenn wir bewusst Maß halten, tut uns das körperlich und seelisch gut. Auch in der Spiritualität ist Maßhalten entscheidend, da es uns hilft, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden. Zum Beispiel sagte der Heilige Franz von Assisi, dass wir zuerst das Notwendige tun sollten, dann das Mögliche.
Was hilft dabei Gelassenheit im Alltag zu leben?
SR. BARBARA LEHNER: Ein geregelter Tagesablauf. Das mag unspektakulär klingen, aber ich beobachte, dass gerade ältere Mitschwestern, die sich einen ruhigen, strukturierten Tag bewahrt haben, ausgeglichener und oft auch gesünder sind.
Was ist die Grundlage für alles, was Sie tun? Gibt es etwas, worauf Sie im Leben unumstößlich vertrauen, das Sie durch jeden Tag trägt?
SR. BARBARA LEHNER: Ich vertraue zutiefst darauf, dass alles vom Willen Gottes getragen ist.
Wir bedanken uns sehr herzlich für das Interview bei Sr. M. Barbara Lehner, Generaloberin der Elisabethinen Linz-Wien und Geschäftsführerin der elisabethinen linz-wien GmbH.
die elisabethinen linz-wien