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Sexuelle Gesundheit und Wohlbefinden im Fokus

Expert*in Julia und Harald Schmid über den Einfluss von sexueller Gesundheit auf das allgemeine Wohlbefinden, häufige Tabus und Wege zur Stärkung männlicher Vitalität.

Was versteht ihr unter sexueller Gesundheit, und was zeichnet sie insbesondere bei Männern aus?
JULIA UND HARALD SCHMID: Sexuelle Gesundheit umfasst nicht nur das Fehlen von Krankheiten oder Funktionsstörungen, sondern auch das Wohlbefinden in Bezug auf Sexualität. Das bedeutet unter anderem auch, dass Männer* (und Frauen) ihre Sexualität authentisch und angstfrei leben können und ihre sexuellen Bedürfnisse erfüllen können.

Das Ziel unserer Arbeit ist es, Menschen zu einer authentischen, erfüllten Sexualität zu begleiten.

*dieses Interview ist im Rahmen des Männergesundheits-Schwerpunktes entstanden, daher verwenden wir die vorwiegend männliche Form

Welchen gesundheitlichen Stellenwert hat eine gesunde Sexualität? Geht es dabei um Prostatagesundheit, sexuelle Funktionen oder auch um weitere Aspekte?
JULIA UND HARALD SCHMID: Eine gesunde Sexualität hat einen hohen gesundheitlichen Stellenwert, da sie nicht nur zur körperlichen (z.B. Prostatagesundheit), sondern auch zur emotionalen und psychischen Gesundheit beiträgt. Sie fördert das Wohlbefinden, stärkt die zwischenmenschlichen Beziehungen und kann Stress abbauen. Zudem spielt sie eine wichtige Rolle in der Selbstwahrnehmung und dem Selbstwertgefühl. Eine positive Sexualität kann auch das Risiko für bestimmte gesundheitliche Probleme verringern, indem sie beispielsweise das Immunsystem stärkt und die Herzgesundheit fördert.

Ist sexuelle Gesundheit an sexuelle Aktivität gebunden?
JULIA UND HARALD SCHMID: Sexuelle Gesundheit ist nicht ausschließlich an sexuelle Aktivität gebunden, sondern umfasst verschiedene Aspekte der Sexualität. Dazu gehören:

  • die sexuelle Identität, also das persönliche Empfinden und die Selbstwahrnehmung in Bezug auf das eigene Geschlecht und die Sexualität,
  • die sexuelle Orientierung, also die romantische und sexuelle Anziehung zu anderen Personen,
  • und die sexuellen Handlungen, also die Aktivitäten, die ein Mensch erleben und leben möchte.

Diese Aspekte spielen eine wichtige Rolle für die sexuelle Gesundheit. In unserer Begleitung unterstützen wir Menschen dabei, ihre Bedürfnisse wahrzunehmen, zu erkennen und offen mit ihren Sexualpartner*innen zu kommunizieren. Dies schafft die Grundlage für eine erfüllte Sexualität und sexuelle Gesundheit.


Gibt es Normen oder altersbedingte Veränderungen in der sexuellen Entwicklung? Wie sieht gesunde Sexualität bei Männern in den 50ern oder 60ern aus?
JULIA UND HARALD SCHMID: Sexualität unterliegt keinen festen Normen oder Regeln – sie ist ein Spiegel des individuellen Selbst und daher so einzigartig wie der Mensch selbst. Gleichzeitig ist Sexualität ein dynamisches Feld, das sich im Laufe des Lebens wandelt und an die unterschiedlichen Lebensabschnitte anpasst.

Ab dem 50. Lebensjahr erleben mehr als 50 % der Männer Erektionsprobleme. Diese Herausforderungen sind oft physiologisch bedingt, können aber durch gezielte Maßnahmen positiv beeinflusst werden.

Durch unsere Begleitung lernen Männer, welche Faktoren eine Rolle für die Erektionsfähigkeit spielen. Dazu zählen:

  • eine kräftige Beckenbodenmuskulatur,
  • die Atmung,
  • die Muskelspannung,
  • die Beweglichkeit des Beckens.

Mit gezielten Körperübungen erleben Männer, wie sich diese Faktoren auf die Erektionsfähigkeit auswirken. Dadurch können sie ihre Potenz stärken – und das ganz ohne den Einsatz von Medikamenten.

Welche Tabus herrschen in Bezug auf Sexualität und welche Auswirkungen haben sie auf die sexuelle Gesundheit? Kann offenes Reden diese verbessern?
JULIA UND HARALD SCHMID: Tabus in der Sexualität sind häufig kulturell und gesellschaftlich geprägt und können sich auf verschiedene Bereiche beziehen, darunter:

  • Offene Gespräche über Sexualität: Themen wie gleichgeschlechtliche Beziehungen, Erektionsstörungen oder sexuelle Dysfunktionen sind oft schwer anzusprechen.
  • Verurteilung von Diversität: Sexuelle Orientierungen oder Identitäten, die von der gesellschaftlichen Norm abweichen, werden häufig stigmatisiert.

Diese Tabus erschweren eine offene Auseinandersetzung mit Sexualität und wirken sich negativ auf die sexuelle Gesundheit aus. Sie können:

  • eine umfassende sexuelle Aufklärung verhindern,
  • Scham- und Schuldgefühle verstärken,
  • psychische Belastungen wie Angst, Depression oder ein geringes Selbstwertgefühl fördern.

Das offene Ansprechen solcher Themen in einem respektvollen und wertfreien Raum wird von vielen unserer Klient*innen als befreiend und lösungsorientiert wahrgenommen. Es schafft Klarheit, erleichtert den Umgang mit Tabus und stärkt letztlich die sexuelle Gesundheit.

An wen können sich Männer vertrauensvoll wenden, um über Sexualität zu sprechen? Welche Angebote oder Anlaufstellen empfehlt ihr?
JULIA UND HARALD SCHMID: In unserer Praxis „Lebe Lustvoll“ im Gesundheitsnetzwerk der Elisabethinen können sich Männer (und selbstverständlich auch Frauen) vertrauensvoll mit allen Fragen rund um ihre Sexualität an uns wenden.

Unser Vorgehen gliedert sich in folgende Schritte:

  1. Klärung des Anliegens: In einem persönlichen Gespräch gewinnen wir ein klares Bild von der Sexualität und den Anliegen des Klienten.
  2. Formulierung eines Lernziels: Gemeinsam mit dem Klienten wird ein Ziel definiert, das auf seinen vorhandenen Ressourcen aufbaut.
  3. Individuelle Methodenwahl: Basierend auf dem Lernziel bieten wir Methoden und Instrumente der somatischen Sexualpädagogik an. Der Klient entscheidet dabei selbstbestimmt, welche Ansätze für ihn passend und zielführend sind.

Zusätzlich stehen folgende Möglichkeiten und Angebote zur Verfügung:

  1. Medizinische Unterstützung: Hausärzt*innen und Urolog*innen können wichtige medizinische Aspekte abklären.
  2. Psychologische und therapeutische Begleitung: Psycholog*innen, Sexualtherapeut*innen und Beratungsstellen, wie das Zentrum für Familientherapie und Männerberatung Linz (www.zentrum-fm.at), bieten weitere Unterstützung.
  3. Austausch unter Männern: Eine wertvolle Gelegenheit zur persönlichen Weiterentwicklung – auch in Bezug auf Sexualität – bietet die Initiative Mission Mann (www.mission-mann.eu).

Unser Ziel ist es, Männern einen sicheren Raum für ihre Anliegen zu bieten und sie auf ihrem Weg zu einer erfüllteren Sexualität individuell zu begleiten.

Welche Lebensstilfaktoren haltet ihr für besonders förderlich, um die sexuelle Gesundheit zu unterstützen?
JULIA UND HARALD SCHMID: Ein gesunder Lebensstil kann wesentlich zur Förderung und Erhaltung der sexuellen Gesundheit beitragen. Das halten wir für die wichtigsten Faktoren:

  • Gesunde Ernährung (abwechslungsreich, vollwertig, naturbelassen, …)
  • Körperliche Aktivität (Sport, sexuelle Aktivität, …)
  • Mentale Fitness (Meditation, Atemübungen, …)
  • Ausreichend Schlaf
  • Positive soziale Beziehungen
  • Regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen

Für manche Menschen ist Sexualität mit Leistungsdruck verbunden – was ratet ihr Menschen, die sich diesbezüglich unter Druck setzen?
JULIA UND HARALD SCHMID: Leistungsdruck in der Sexualität ist ein Thema, das viele unserer Klient*innen betrifft. Dieser Druck kann sich negativ auf verschiedene Aspekte der Gesundheit auswirken:

  • Körperliche Auswirkungen: Eingeschränkte Erektionsfähigkeit, Schmerzen und Verspannungen.
  • Emotionale Auswirkungen: Vermindertes Lustempfinden und verringerter Genuss an sexuellen Aktivitäten.
  • Partnerschaftliche Auswirkungen: Belastungen in der Beziehung durch unerfüllte Erwartungen oder Missverständnisse.

Unser Ansatz in der somatischen Sexualpädagogik zielt darauf ab, den Fokus weg vom Leistungsdruck hin zur Körperwahrnehmung zu lenken. Dabei unterstützen wir Klient*innen durch folgende begleitende Maßnahmen:

  • Wiederentdeckung der Körperwahrnehmung: Mit gezielten Übungen lernen Klient*innen, auf die Signale ihres Körpers zu hören und diese bewusst wahrzunehmen.
  • Loslassen eines festgelegten Ziels: Die Konzentration auf ein angestrebtes Ergebnis, wie den Orgasmus, wird reduziert. Stattdessen rücken das Erleben des Augenblicks und die Freude an der Intimität in den Vordergrund.
  • Entwicklung einer neuen Haltung zur Sexualität: Wir begleiten Klient*innen dabei, ihre Sexualität vom leistungsorientierten „Sex“ hin zu einem liebevollen, spielerischen Austausch zu transformieren.

Unser Ziel ist es, gemeinsam mit unseren Klient*innen den Leistungsdruck zu lösen und den Raum für eine erfüllte, entspannte und lustvolle Sexualität zu schaffen – sowohl für Einzelpersonen als auch in Partnerschaften.

Welchen Lebensstil empfehlt ihr für eine langfristige Förderung der sexuellen Gesundheit?

JULIA UND HARALD SCHMID: Lebe Lustvoll!!

 

Literatur:

„Sexualmedizin: Grundlagen und Praxis“, Beier et al. 2005

The Science of Sex: The Biology of Sexual Behavior", Jonason 2007

Foto: Julia und Harald Schmid

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